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ag-drogen - [AG-Drogen] LEITARTIKEL,Gute Drogen, schlechte Drogen?

ag-drogen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik

Listenarchiv

[AG-Drogen] LEITARTIKEL,Gute Drogen, schlechte Drogen?


Chronologisch Thread 
  • From: Maximilian Plenert <max.plenert AT hanfverband.de>
  • To: Top <mapde-topnews AT listen.jpberlin.de>, BND Diskussionsliste <bnd-debatte AT bndrogenpolitik.de>, Fachforum Drogen der GRÜNEN JUGEND <liste-ff-drogen AT gruene-jugend.de>, linke-drogenpolitik AT yahoogroups.de, Liste: AG_Drogen <ag-drogen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [AG-Drogen] LEITARTIKEL,Gute Drogen, schlechte Drogen?
  • Date: Thu, 29 Dec 2011 13:18:33 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
  • List-id: Mailingliste der AG Drogen <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>
  • Organization: Deutscher Hanfverband

Datum: 28 | 12 | 2011

http://www.fr-online.de/meinung/leitartikel-gute-drogen--schlechte-drogen-,1472602,11362922.html

LEITARTIKEL
Gute Drogen, schlechte Drogen?

Der „war on drugs“ ist nicht erst in den vergangenen Jahren gescheitert.
Verloren war er in dem Augenblick, da er begonnen wurde.

Christian Bommarius
Der Mensch der Gegenwart kann vieles entbehren – Gott und die sichere Rente,
die
Ayurveda-Therapie und das Gespräch mit dem Nachbarn, die Utopien und zur Not
sogar die täglichen Börsenkurse – , aber ohne Drogen kommt er selten aus. Noch
keine Gesellschaft war so scharf auf die geilen Kicks und Antidepressiva, so
abhängig von injizierter, geschluckter und inhalierter Betäubung wie die, in
deren Namen der Krieg gegen die Drogen geführt wird.

Die Ursache liegt auf der Hand. Die Abhängigkeit ist der Preis der Freiheit,
als
die sich der Verlust von Lebenssicherheit empfiehlt. Sie macht die Freiheit
erst
erträglich. Der Mensch der Gegenwart ist ein aufgeweckter Mensch, denn der
Schlaf ist in jeder Apotheke käuflich, er ist voller Zuversicht, denn er kaut
die Tabletten. Der Mensch der Gegenwart lebt gut oder schlecht, aber kaum je
ohne Beipackzettel, er steigt auf oder ab, doch stets in Begleitung seiner
Dosis, er sagt Ja, Ja oder Nein, Nein, nur ohne seine tägliche Ration bringt
er
kein Wort heraus.

So lebt der Mensch der Gegenwart.

Vier Millionen werden kriminalisiert

In Deutschland leben 1,4 Millionen Medikamenten- und 2,5 Millionen
Alkoholabhängige, darunter 400.000 Menschen über 60 Jahre. Jedes Jahr sterben
73.000 Menschen an Alkoholismus, 110.000 an den Folgen des Rauchens. Ganz
gleich
aber, wie die Süchtigen leben und sterben – wegen dieser Süchte war und ist
keiner von ihnen vorbestraft.

Kriminalisiert aber werden die vier Millionen – gelegentlichen oder
regelmäßigen
– Konsumenten von Haschisch und Marihuana. Rund zwei Millionen
Ermittlungsverfahren haben die Staatsanwaltschaften wegen Cannabis-Delikten
eingeleitet, seit das Bundesverfassungsgericht 1994 verlangte, erstens bei
„kleinen Mengen“ von Strafe abzusehen und zweitens den Begriff der „kleinen
Menge“ einheitlich festzusetzen. Weil sich die Bundesländer bis heute zur
Erfüllung der zweiten Forderung außerstande sehen, ist auch die erste fast
ungehört verhallt.

Vernünftig und aussichtslos

Sie wurde und sie wird so wenig gehört wie die Forderung der Grünen, der
Piraten
und etlicher Experten, die Drogenkriminalität endlich durch
Entkriminalisierung
zu bekämpfen und die Volksgesundheit durch Therapieangebote und staatliche
Kontrolle statt durch Strafverfolgung zu schützen. Der Vorschlag ist ebenso
vernünftig wie aussichtslos.

Am 8. Juni 1998 haben mehr als 600 Wissenschaftler, Minister,
Nobelpreisträger,
Künstler, Intellektuelle und Geschäftsleute aus den Anbau- und
Verbraucherländern in einem offenen, von der New York Times publizierten Brief
an den Generalsekretär der Vereinten Nationen das Ende des „war on drugs“
verlangt.

Nur mit der Aufgabe der Drogenprohibition sei sei die Zerschlagung der
Drogenkartelle möglich: „Die Organe der Vereinten Nationen schätzen den
jährlichen Umsatz durch die illegale Drogenindustrie auf 400 Milliarden
US-Dollar, das entspricht in etwa acht Prozent des gesamten Welthandels. Diese
Industrie schafft mächtige kriminelle Organisationen, korrumpiert Regierungen
auf allen Ebenen, gefährdet die internationale Sicherheit, stimuliert Gewalt
und
zerstört sowohl internationale Märkte als auch moralische Werte.“

Unheilvolle Erfahrungen mit der Prohibition

Bisher aber zieht nicht nur die deutsche Drogenpolitik die Gegenrichtung vor.
Die Idée fixe, die Volksgesundheit mittels Strafverfolgung zu schützen, haben
in
den Vereinigten Staaten der Zwanzigerjahre 35.000 überwiegend arme Trinker mit
dem Leben bezahlt – sie hatten sich mit billigem, illegalem Fusel vergiftet.

Spätestens seit den unheilvollen Erfahrungen mit der Prohibition sollte sich
herumgesprochen haben, dass der Versuch, Menschen vor Selbstschädigung mit den
Mitteln des Strafrechts zu bewahren, nicht nur sinnlos, sondern schädlich ist.
Nicht die Drogenkriminalität ist der Skandal, sondern die Kriminalisierung der
Drogen, die gründlich das Gegenteil dessen bewirkt, was sie bezweckt.

Repressive Maßnahmen treiben die Drogenkonsumenten, wie der renommierte
Frankfurter Kriminologe Peter-Alexis Albrecht schon vor Jahren bemerkte, „in
soziale Verelendung und Desintegration, in psychischen und physischen Verfall,
in Stigmatisierung und kriminelle Karrieren“. Nicht die Drogen, sondern
vielmehr
erst deren Kriminalisierung erzeugt den Schwarzmarkt mit den extremen
Gewinnspannen im illegalen Handel, mit der Beschaffungskriminalität und mit
Gefahren für Leib und Leben der Abhängigen. Die meisten der 1 331 Drogentoten
im
Jahr 2009 sind nicht ihrer Sucht zum Opfer gefallen, sondern der schlechten
Qualität der Drogen.

Der „war on drugs“ ist nicht erst in den vergangenen Jahren gescheitert.
Verloren war er in dem Augenblick, da er begonnen wurde.



  • [AG-Drogen] LEITARTIKEL,Gute Drogen, schlechte Drogen?, Maximilian Plenert, 29.12.2011

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