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ag-drogen - [AG-Drogen] Afghanische Drogenökonomie - In der Opiumhölle

ag-drogen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik

Listenarchiv

[AG-Drogen] Afghanische Drogenökonomie - In der Opiumhölle


Chronologisch Thread 
  • From: Maximilian Plenert <kontakt AT max-plenert.de>
  • To: Fachforum Drogen der GRÜNEN JUGEND <liste-ff-drogen AT gruene-jugend.de>, BND Diskussionsliste <bnd-debatte AT bndrogenpolitik.de>, linke-drogenpolitik AT yahoogroups.de, Liste: AG_Drogen <ag-drogen AT lists.piratenpartei.de>, vfdintern AT yahoogroups.de
  • Subject: [AG-Drogen] Afghanische Drogenökonomie - In der Opiumhölle
  • Date: Mon, 22 Feb 2010 13:56:06 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
  • List-id: "Liste: AG_Drogen" <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>

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Siehe auch:
Die Narco-Ökonomie Afghanistans
Die Drogen, der Staat und der Tod
KOMMENTAR VON ULRIKE WINKELMANN
http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/die-drogen-der-staat-und-der-tod/

19.02.2010
http://www.taz.de/1/politik/asien/artikel/1/in-der-opiumhoelle/

Afghanische Drogenökonomie - In der Opiumhölle

Die umkämpfte südafghanische Provinz Helmand ist das größte Mohnanbaugebiet
der
Welt. Sogar die internationalen Gelder für die Drogenbekämpfung werden Teil
der
Drogenökonomie. VON THOMAS RUTTIG

Irgendwann im Mai 2008 in Afghanistan rief ein Bekannter an - nennen wir ihn
Gul
Mohammed -, der früher einmal Bürgermeister einer Kleinstadt in der Provinz
Urusgan gewesen war. Er sei in Helmand und brauche dringend Geld. Ob ich ihm
wenigstens die PIN-Nummer einer Telefonkarte simsen könne. Erst später
erzählte
er genauer, was vorgefallen war: Inzwischen arbeitslos, hatte er sich als
Saisonarbeiter beim "Nesch" verdingt - Nesch ist das Pashto-Wort für
Mohnernte.
Auf dem Rückweg war Gul Mohammed überfallen und um den Verdienst seiner Arbeit
erleichtert worden.

Nirgendwo wächst so viel Opiummohn wie in Helmand: Ungefähr 45 Prozent der
Weltproduktion, die zu neun Zehnteln aus Afghanistan kommt. Tagelöhner ritzen
vorsichtig die abgeblühten Kapseln mit kleinen, sichelförmigen Messern an,
sodass das harzartige Rohopium austritt und gerinnt. Am nächsten Tag können
sie
es abschaben und verpacken, das Ganze für bis zu 15 Dollar am Tag. Das ist
nicht
viel, aber genug für ein bisschen Luxus: ein Motorrad, einen Kühlschrank oder
einen Dieselgenerator. Schüler sparen beim Nesch oft für Fahrräder. Das braune
Zeug hält sich jahrelang, auch über Perioden des Preisverfalls wie derzeit.

So wie Gul Mohammed verdingen sich alljährlich Tausende bei der Mohnernte. Das
Personal in den Behörden Südafghanistans dünnt dann auffällig aus, viele
Schulen
stehen leer. Lehrer und Schüler gehen gleichermaßen Geld verdienen. Die Leute
aus Urusgan, Helmand und benachbarten Gegenden gelten als Spezialisten und
werden deshalb händeringend in Provinzen gesucht, wo der Opiumanbau noch jung
ist. Selbst der Krieg flaut zur Erntezeit ab. Schließlich sind die meisten
Taliban Teilzeitkämpfer und müssen sich zwischendurch um ihre Felder kümmern.

Zugleich ist die Kontrolle über die Mohnanbaugebiete Helmands von größter
strategischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Auch deshalb wird derzeit am
Helmand-Fluss um Mardscha und Nad Ali gekämpft. "Als die Taliban 2006 die
Kontrolle übernahmen, sind die Bauern zum Mohnanbau übergegangen, und die
Taliban füllen sich damit ihre Taschen", erklärte ein anonymer afghanischer
Regierungsbeamter Anfang der Woche einer Washingtoner Zeitung. "Sie benutzen
das
Geld, um Training, Waffen und Rekruten zu beschaffen. Mardscha einzunehmen,
wird
ein großer Schlag gegen sie sein."

Der Mann sagt nur die halbe Wahrheit. Ganz sicher sind Drogen eine der
Haupteinnahmequellen der Taliban. Aber vom Gesamtwert der afghanischen
Rohopiumernte, die im Jahr 2008 - aus dem die letzten Zahlen stammen - auf
7.700
Tonnen mit einem Exportwert von 3,4 Milliarden Dollar geschätzt wurde -, gehen
nach UN- und US-Angaben nur 70 bis 400 Millionen an die Aufständischen.

Allerdings streiten sich die Experten, ob Drogengelder tatsächlich die
Einnahmequelle Nummer eins für die Radikalislamisten sind oder nicht doch die
Spenden, die Privatleute in Moscheen am Persisch-Arabischen Golf für sie
sammeln. Vielleicht ist das Aufkommen aus den Steuern noch höher, die die
Taliban - die sich immer stärker als legitime Regierung darstellen - in den
von
ihnen kontrollierten Gebieten eintreiben. Betroffen sind Basarhändler wie
afghanische Firmen, die Verträge mit westlichen Gebern schließen, und
Staatsangestellte, die einen Teil ihres Gehalts abgeben müssen.

Das eigentliche Geschäft mit den Drogengeldern wird auf Regierungsseite
gemacht,
aber natürlich nicht offiziell. Dort verdient man oft doppelt und dreifach.
Zum
einen lassen sich örtliche Amtsträger dafür bezahlen, bestimmte Bauern und
Händler von der staatlich angeordneten Kampagne zur Mohnvernichtung
auszunehmen.
Bauern aus Helmand schilderten Lokalreportern, wie das geht: "Wir haben 7.500
Afghani (150 Dollar) pro Hektar an die Polizei gezahlt, damit sie unseren Mohn
nicht zerstört. Jetzt bezahlen wir die Verwaltung dafür, dass sie uns
ungestört
unsere Produkte verkaufen lässt: mit 1.100 Gramm Opiumpaste pro Hektar." Das
ist
relativ billig, denn ein Hektar bringt 50 bis 60 Kilo. "Der Polizeikommandeur
hat uns gesagt, dass er uns, wenn wir nicht zu einer Übereinkunft kämen, die
gesamte Paste gewaltsam abnehmen würde."

Die Polizisten zahlen einen Teil des Geldes an ihre Vorgesetzten, bis hinauf
zum
Polizeichef. Deshalb werden solche Posten gerade in Südafghanistans
Opiumprovinzen - aber auch an den Schmuggelrouten im Norden, zum Beispiel in
Kundus - gegen besonders hohe Schmiergelder vergeben. Bei diesem Geschäft tat
sich besonders der frühere Innenminister Zarar Moqbel hervor. Dennoch hat ihn
Präsident Hamid Karsai gerade zum neuen Minister für Drogenbekämpfung ernannt.

Zudem wird bei der Abrechnung kräftig geschummelt. Der damalige Gouverneur von
Helmand gab 2006 an, er habe 7.000 Hektar Mohnfelder zerstört. Westliche
Beobachter gingen aber davon aus, dass es nur 1.000 Hektar waren - ein Prozent
der Anbaufläche in Helmand.

Dritte Einnahmequelle ist die Unterschlagung von Hilfsgeldern. 2002
versprachen
die Briten, jedem Bauern 1.750 Dollar für einen freiwillig zerstörten Hektar
Opiummohn-Anbaufläche zu zahlen. Doch laut afghanischen Journalisten haben die
Bauern das Geld "niemals erhalten". Trotzdem seien gut 10.000 Hektar
abgerechnet
worden - 17,5 Millionen Dollar wanderten also in die Taschen korrupter
Beamter.
Das habe "die Feindschaft gegen die britischen Truppen verstärkt".

Allein 2007 steckte die US-Regierung 100 Millionen Dollar in die Förderung
alternativer Kulturen in Helmand, dazu kamen noch 20 Millionen aus London.
Aber
auch das änderte die Lage der Bauern kaum. Währenddessen wachsen am Rande
Laschkar Gahs, der Provinzhauptstadt von Helmand, die Villen der Drogenbarone
aus dem Wüstensand, nicht grundlos "Narcotektur" genannt. 2006 schrieb ein
verzweifelter ausländischer Drogenbekämpfer in einem informell verschickten
Memo, das Wiedererstehen des Opiumanbaus seit 2003 sei der "Tatenlosigkeit der
Geber anzulasten". Schon 2003 hieß es in einem viel zu wenig beachteten
Weltbankbericht, dass in Afghanistan Narcokartelle entstehen.

Einer, der dabei in der obersten Liga mitspielt, ist Senator Scher Mohammed
Achundsada aus Helmand. Es ist durch alte Freundschaft und Heirat mit der
Karsai-Familie verbunden. Nach dem Sturz der Taliban ernannte der Präsident
ihn
zum Gouverneur von Helmand. Scher Mohammed - in Afghanistan nennt man sich
beim
Vornamen - teilte die Schlafmohnplantagen der Provinz zwischen seinem Clan und
denen seines Polizeichefs und des Armeekommandeurs auf, wie der Autor bei
einem
Briefing in einer örtlichen US-Einheit erfuhr.

Seinen Status als Drogenmekka hat Helmand - Ironie der Geschichte - den USA zu
verdanken. Mit einem 100-Millionen-Dollar-Projekt, das 1946 begann,
erschlossen
sie mithilfe eines ausgedehnten Systems von Bewässerungskanälen mehrere
100.000
Hektar Ackerland für den Weizen- und Baumwollanbau. Der Krieg und
Klimaänderungen führten dazu, dass viele Bauern auf Mohn umstiegen, der nicht
viel Wasser braucht und fast von allein wächst. Zudem drückte Washington in
den
1980er-Jahren gegenüber dem Drogenschmuggel der antisowjetischen Mudschaheddin
beide Augen zu. Damals legte Scher Mohammeds Vater, der größte Kommandeur der
Gegend, den Grundstein für Helmands Drogenökonomie.

Bevor die Briten 2006 Truppen nach Helmand schickten, zwangen sie Präsident
Karsai, Scher Mohammed abzusetzen. Dabei half ihnen, dass eine - von Briten
trainierte - afghanische Sondereinheit bei einer Razzia elf Tonnen Stoff in
dessen Keller fanden. "Zur Strafe", wie ein britischer Diplomat damals den
Medien sagte, machte Karsai seinen Verbündeten zum Senator. Auch dass Scher
Mohammed später in einem Interview zugab, 3.000 Mann seiner Privatmiliz
ermutigt
zu haben, zu den Taliban zu gehen, da er sie nicht mehr bezahlen könne,
schadete
seiner Beziehung zu Karsai nicht. Nun droht sogar Scher Mohammeds völlige
Rehabilitation. Karsai hat mehrmals öffentlich erklärt, dessen Absetzung sei
einer seiner schwersten Fehler gewesen. Helmand stehen blühende Landschaften
ins
Haus.


Opium

Das Geschäft: Laut UN leben 13 Prozent aller Afghanen vom Opiumanbau. Von den
3,4 Milliarden Dollar, die Afghanistan aus dem Opiumhandel erwirtschaftet,
entfallen auf sie 730 Millionen Dollar. Das sind 2.000 Dollar pro Familie, von
denen nach Abzug von Produktionskosten, Steuern und Bestechungsgeldern in
Helmand 900 Dollar netto übrig bleiben - immerhin noch doppelt so viel

wie beim Weizenanbau.

Die Preise: Die Opiumpreise fallen gegenwärtig. Die sogenannten
Farm-Gate-Preise
für frisches bzw. getrocknetes Rohopium betrugen 2008 70 bzw. 95 US-Dollar.

Der Standort: 2008 wurden in Afghanistan 7.700 Tonnen Rohopium hergestellt -
neun Zehntel der Weltproduktion. 3.850 Tonnen stammten aus Helmand, wo auf
einer
Fläche von 103.000 Hektar Schlafmohn angebaut wurde.

Die Süchtigen: Durch die Heroinwirtschaft hat in Helmand die
Drogenabhängigkeit
zugenommen. 2006 wurden 8 Prozent der rund 1,5 Millionen Einwohner als
drogenabhängig geschätzt. Wer in den primitiven Heroinlaboren arbeitet, wird
häufig mit Drogen bezahlt. Auch Frauen sind zunehmend davon betroffen.

Die Delikatesse: Der "Schwarze Afghane", eine spezielle Haschischsorte mit
sehr
hoher Wirkstoffkonzentration, wird kaum noch für den Weltmarkt produziert.
Dennoch hat der Cannabisanbau in Afghanistan in den letzten Jahren wieder
stark
zugelegt. Ihren Afghanen rauchen die Afghanen zumeist selbst.

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"For every complex problem, there is an answer that is clear, simple and
wrong."
- - H.L. Mencken

Kontakt:
Dipl.-Phys. Maximilian Plenert
Beisitzer im Bundesvorstand der GRÜNEN JUGEND
Sprecher des Bundesnetzwerk Drogenpolitik bei Bündnis '90 / Die Grünen
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Mobil: 0176 / 20444852
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  • [AG-Drogen] Afghanische Drogenökonomie - In der Opiumhölle, Maximilian Plenert, 22.02.2010

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