ag-bauen-verkehr AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Bundes-AG Bauen und Verkehr Diskussionsliste
Listenarchiv
- From: "Robert Merz" <romerz AT gmx.de>
- To: "AG Bau Verkehr PP-Bund allg." <ag-bauen-verkehr AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: [AG Bauen und Verkehr] Fw: [bahn] Pofalla/DB-Konzern/EU-Vorgaben
- Date: Fri, 3 Jan 2014 09:21:49 +0100 (CET)
- Importance: normal
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-bauen-verkehr>
- List-id: Bundes-AG Bauen und Verkehr Diskussionsliste <ag-bauen-verkehr.lists.piratenpartei.de>
- Sensitivity: Normal
Piratige Grüße
Von: "Dieter Schwarz" <muggedei AT gmx.de>
An: "bahn-für -alle attac" <bahn AT listen.attac.de>
Betreff: [bahn] Zusätzlicher DB-Vorstandsposten mit Lobbypotential
Zusätzlicher DB-Vorstandsposten mit Lobbypotential
Konzernstruktur: Europa stutzt die Deutsche Bahn
Eine Zerschlagung der Deutschen Bahn ist zwar vom Tisch. Dennoch treibt Europa eine Trennung light voran, die das bisherige Geschäftsmodell ins Wanken bringt.
Am 17.12.2013 nahm der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments (EP) mit deutlicher Mehrheit das vierte Eisenbahnpaket an. Damit steigen die Chancen, dass das EP noch in dieser Legislaturperiode die Regulierungsvorgaben der EU-Kommission verabschiedet. Der Deutschen Bahn droht damit ein erheblicher Eingriff in ihre unternehmerische Unabhängigkeit. Das Schienennetz, zusammengefasst in der Konzernsparte DB Netz, soll künftig deutlich unabhängiger agieren müssen. Der Zugriff der Berliner Konzernzentrale vor allem auf die Finanzströme wird somit verkleinert.
Die Entscheidung der Straßburger Parlamentarier ist ein Sieg des Wettbewerbs gegenüber monopolitischen Strukturen. Zwar hatte es im Vorfeld deutliche Korrekturen an dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Extrempapier gegeben. Dennoch laufen die Kompromisse auf eine Trennung light hinaus, die das Schienennetz inklusive Personenbahnhöfe und Energiesparte stärker an die volkswirtschaftlichen Bedürfnisse heran führt. Die Europa-Politiker haben sich erfolgreich gegen die Weltuntergangs-Argumente der Bahn-Lobbyisten zur Wehr gesetzt.
Vor diesem Hintergrund dürfte auch die Personalie Ronald Pofalla gefallen sein. Laut Saarbrücker Zeitung und Nachrichtenagentur Reuters soll der ehemalige Kanzleramtsminister bald als Chef-Lobbyist in den Vorstand der Bahn einziehen. Er soll dann für die Kontakte in Berlin und Brüssel zuständig sein. Dafür wird offenbar ein neuer Posten geschaffen. Als Bahn-Vorstand könnte der CDU-Politker zwischen 1,3 und 1,8 Millionen Euro pro Jahr verdienen.
Pofallas erste Aufgabe dürfte sein, das vierte Eisenbahnpaket weiter zu attackieren. Es besteht aus mehreren Einzelgesetzen. Die wichtigsten Entscheidungen:
1. Gewinne bleiben im Netz: Integrierte Bahnkonzerne bleiben zwar grundsätzlich erlaubt, allerdings werden die Finanzsysteme der Transportunternehmen und der Netzgesellschaften vollständig separiert. Die Gewinne aus dem Betrieb des Schienennetzes und der Bahnhöfe sowie der Energiesparte fließen wieder zurück in die Infrastruktur. Damit folgte der EP-Verkehrsausschuss den strengen Vorgaben des Gesetzesentwurfs der EU-Kommission. Dieser Punkt trifft die Deutsche Bahn empflindlich. Die Mittelfristprognose des Konzerns sah erhebliche Finanztransfers von Netz an die Holding vor.
2. Netzsparte wird unabhängiger: Netz- und Transportgesellschaften werden auch organisatorisch voneinander getrennt. Damit dürfte die Deutsche Bahn keine Probleme haben, da die Unternehmen bereits als rechtlich unabhängige Aktiengesellschaften im Markt aufreten. Anders als die Brüsseler Kommission gefordert hatte, erlaubt der Verkehrsausschuss des EP einheitliche IT-Systeme der Unternehmen. Zudem bleibt der Wechsel von Führungspersonal zulässig. Letzterer Punkt ist nicht unumstritten. Im vergangenen Jahr wechselte beispielsweise der frühere DB-Regio-Chef Frank Sennhenn ohne Übergangsfrist auf den Chefposten von DB Netz. Sennhenn wurde für die Eisenbahnunternehmen im Nahverkehr damit von einem auf den anderen Tag vom Wettbewerber zum Dienstleister.
3. Europäische Zulassung von Zügen: Auf diese Änderung warten die Eisenbahnkonzerne schon seit Langem. In vier Jahren soll die Kompetenz für die Zulassung von Fahrzeugen, die grenzüberschreitend unterwegs sind, allein bei der Europäischen Eisenbahnagentur (Era) liegen. Unternehmen, die rein nationale Verkehre betreiben, haben dann die Wahl: Sie können ihre Loks und Waggons von der Era oder von der heimischen Zulassungsbehörde genehmigen lassen. Was bei Lkw und Flugzeugen längst Standard ist, gilt dann auch bei den Zügen. Europa stellt die Weichen in Richtung eines europäischen Eisenbahnmarktes.
4. Ende der Mauschelei: Direktvergaben im ÖPNV bleiben zwar auch weiterhin möglich, aber nur in sehr engen Grenzen. Der Aufgabenträger muss beispielsweise nachweisen, warum eine Direktvergabe die Pünktlichkeit verbessert, die Kosten senkt, die Zugfrequenzen steigert und die Kundenzufriedenheit erhöht. Das dürfte Direktvergaben praktisch unmöglich machen. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) kritisiert daher, die EU habe “den Bogen hier völlig überspannt”. Künftig müssen nämlich auch Bus- und Tramverkehre ausgeschrieben werden. Das muss aber nicht zum Nachteil sein, wie ein Blick nach Frankreich zeigt. Dort gibt es zwar keinerlei Wettbewerb im Nahverkehr wie etwa bei S-Bahnen und Regionalexpresszügen. Dafür wird der Betrieb von Bussen, U- und Straßenbahnen in zahlreichen Städten seit Jahren ausgeschrieben. Das hat die Qualität im städtischen Nahverkehr zur Freude der Fahrgäste erhöht. Vielleicht auch ein Modell für Deutschland.
Noch müssen die Verkehrsminister der EU-Staaten dem vierten Eisenbahnpaket zustimmen. Wahrscheinlich ist, dass das Paket in einen technischen und einen politischen Teil aufgespalten wird. Der völlig unkritische technische Teil würde noch in dieser Legislaturperiode bis Mai 2014 von den Verkehrsministern verabschiedet werden können. Weil der Widerstand etwa aus Deutschland und Frankreich bei den organisatorischen Teilen des Eisenbahnpaketes groß ist, dürfte die Verabschiedung dieser Gesetze in die nächste Legislaturperiode geschoben werden.
Den europäischen Staatskonzernen bleibt also noch Zeit, weiter für ihr Modell des integrierten Bahnkonzerns zu lobbyieren
- [AG Bauen und Verkehr] Fw: [bahn] Pofalla/DB-Konzern/EU-Vorgaben, Robert Merz, 03.01.2014
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