Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

ag-bauen-verkehr - [Ag-bauen-verkehr] Philosophisches/Soziologisches/... zu Radwegen

ag-bauen-verkehr AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Bundes-AG Bauen und Verkehr Diskussionsliste

Listenarchiv

[Ag-bauen-verkehr] Philosophisches/Soziologisches/... zu Radwegen


Chronologisch Thread 
  • From: Jens Müller <ich AT tessarakt.de>
  • To: ag-bauen-verkehr AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: [Ag-bauen-verkehr] Philosophisches/Soziologisches/... zu Radwegen
  • Date: Wed, 25 Nov 2009 14:06:37 +0100
  • List-archive: <http://service.piratenpartei.de/mailman/private/ag-bauen-verkehr>
  • List-id: AG-Bauen-Verkehr <ag-bauen-verkehr.lists.piratenpartei.de>
  • Organization: Piratenpartei Deutschland - Testbetrieb
  • Xref: news.piratenpartei.de pirates.de.talk.politik.etc.bauen-verkehr:280

Gruß Jens

-------- Original-Nachricht --------
Betreff: Re: Piratenpartei hetzt gegen Radfahrer
Datum: 25 Nov 2009 12:53:55 GMT
Von: Ewald Pfau <anderswo AT gmx.net>
Newsgruppen: de.rec.fahrrad,de.soc.politik.misc
Referenzen: <hehofa$q1r$1 AT news.eternal-september.org>
<4B0C6F86.F6219455 AT yahoo.com>

In de.rec.fahrrad, Carla Schneider <carla_sch AT yahoo.com> wrote:
[ oh! Besuch! ;) ]

> Ein Radweg in der Stadt, wo alle paar Meter eine Seitenstrasse
> einmuendet ist nicht besonders nuetzlich, aber ein Radweg an einer
> vielbefahrenenen Landstrasse ist sehr praktisch fuer Radfahrer.

Die Unterscheidung wird gerne an den Haaren herbeigezogen und ist nicht
viel wert. Ich habe den Mischverkehr über Land in der Alltagspraxis, die
gleich wesentlich gefährlicher würde, wenn man mich auf
Zwangsseparierungen zu verscheuchen suchte.

Strassenverkehr muss in erster Linie als soziale und kann nur im
weiteren Sinn als technische Veranstaltung begriffen werden!

Das Wissen darum, wie die Ressource "Fahrbahn" zu teilen ist, geht viel
zu schnell verloren, wenn suggeriert wird, dass "Strasse" stets
"Autostrasse" bedeuten solle. Solange solches Wissen halbwegs verankert
ist, wird es mit jedem zusätzlichen Radfahrer auf der Fahrbahn hingegen
aufgefrischt. So erreicht man auch mehr Sicherheit für das Verkehrsmittel.

Eine Trennung kann stets nur vorübergehend sein. Dies ist auch dann eine
auf Dauer gefährliche Zumutung, wenn statt alle paar Meter die
heimtückischen Fallen nur alle paar 100 m vorkommen. Wenn die gefahrenen
Strecken nach zig Kilometern rechnen, stellt es sich um so deutlicher
als benachteiligende Anmassung dar, der man ausgesetzt ist, wenn man
sich alle paar Augenblicke aufs Neue mit Beeinträchtigung,
Ungewissheiten und minderer Qualität zufriedengeben soll. Verglichen
damit ist Mischverkehr reichlich harmlos.

Man spult die Kilometer ab. Wo ist das Problem?

Die Motivation zur Trennung ist letztlich ideologisch gespeist, geerbt
aus einer utopischen Sicht, mit Verherrlichung einer seelenlosen
Maschinenwelt. Dieses Projekt einer Virtualisierung der räumlichen
Wirklichkeit wird zwar weltweit als faszinierend empfunden, so nimmt man
auch die harsche Reglementierung des Aufenthalts im öffentlichen Raum hin.

Man darf aber darauf drängen, dass damit nicht zugleich jegliche
Vernunft nurmehr an den Nagel gehängt wird.

> Und selbst wenn es nicht so waere, waere es keine aufforderung zu
> Gewalt und Willkuermassnahmen.

Der Vorredner ist manchmal etwas heftig in den Verbalien. Man muss diese
Betonungen nicht nachzeichnen (das will ich auch nicht), sie sind aber
nicht unbegründet, wenn ich mich hier auf den Alltagsradverkehr beziehe
("vehicular cycling" sozusagen).

Wenn man ein wenig Sensibilität dafür aufbringt, mit welcher Art von
Nachdruck jene Denkweise von Maschinenwelt, zusammen mit den
notwendigerweise assoziierten Kommandostrukturen, global quasi als
Normalzustand zu inszenieren gesucht wurd, kann das einem schon die
Laune ziemlich verderben.

Als selbst Pedalierender ist man der Wahrnehmung von hässlichen
Widersprüchen etwas direkter ausgesetzt, wenn auch von Region zu Region
unterschiedlich.

Solches kann ich als Verkehrsteilnehmer wahrnehmen - wo so ziemlich alle
Zeitgenossen aus der Umgebung das sanfte Verkehrsmittel respektieren,
zugleich Nachbarn aus weiteren Regionen, wo mit der Separierungsseuche
offenbar nachdrücklicher Hysterie verbreitet wurde, sich im Kontrast mit
der einfachen Fahrzeugbeherrschung viel schwerer tun, sobald sie von
ihrer Seite den Mischverkehr erträglich gestalten sollen.

Da kann man die Herkunft aus Regionen direkt auch am Verhalten ablesen,
wo in manchen Gegenden auch militante Rechthaberei offenbar zum
Bestandteil der täglichen Praxis gehört.

In Regionen, wo die Separierungswut haust, muss man eigentlich einen
Kategorienfehler unterstellen, wenn damit befördert werden soll, dass
die einzelnen Blechdosen immer nur möglichst unauffällig im stumpfen
Trott hintereinander herfahren. Man züchtet damit die
Verantwortungslosigkeit der einzelnen Dosenpiloten und will vergessen
machen, dass es sich um eine gefährliche Blechtonnage handelt.

Wenn man diesen Trott meint, dann sollte man konsequenterweise auch
sagen, dass eigentlich der ÖPNV gemeint ist.

Sobald es sich um individuell bewohnte rollende Immobilien handelt,
drängt sich unmittelbar die Behandlung als soziales Phänomen, mit
individueller Verantwortung, vor den Blickwinkel der rein technischen
Umsetzung.

Von jener trüblichen Seite her gerechnet, dass mir häufig genug der
Kontrast geboten wird, darf die Antwort eben nicht sein, dass man sich
untertänigst in irgendwelche letztlich gefährliche Nischen verkriechen
soll, sondern muss vielmehr eine Praxis des konstruktiven Teilens
eingefordert werden. Wo man den Egomanenstandpunkt unterstützt, da
befördert man auch heimtückische Gefährlichkeit für das sanfteren Gerät,
egal, wohin man dies rein formal glaubt verstecken zu können. In der
Praxis ist es trotz solcher Sicht immer in Kollissionsweite.

Die Milchmädchenrechnung, wonach sich mehrere Netze berührungsfrei auf
eine Ebene projezieren liessen, entspringt einer Realitätsverweigerung,
die sich als Populismus zwar billig verkaufen lässt - auch bei den gar
so vielen Vielleicht-Radfahrern. In Folge der Verweigerung wird dann
aber die Umsetzung der Separierungswut, in viele heimtückische
Gefahrenquellen, stets mit wonniglichen Worten zugekleistert.

Womit die effektive Nutzung des Verkehrsgeräts - tatsächlich und nicht
nur vielleicht! - zur Bewältigung eines angemessenen Bewegungsumkreises
immer wieder ein weiteres Mal torpediert wurde.

****

Und wenn mir da etwas mächtig auf den Geist geht, dann ist es das
unverbrämte und gedankenlose Weiterspinnen der ideologischen Position,
wenn sie sich einmal als Schablone eingenistet hat.

Warum z.B. hat es die Openstreetmap nötig, sich vor so einen dummen
Karren spannen zu lassen? Mich interessiert nicht, dass ich rundherum
abgestempelt werde:

Die ganze Welt ist fahrradtauglich, dazu braucht es keine Stempel.

Zugleich wird aber in diesem Beispiel die Information zu Höhenmetern
oder zu einfacher Auskunft über den Grad der Befahrbarkeit mit einer
dicken, fetten Symbolik zugeschüttet. Angewidert wende ich mich dann ab,
weil mich die Selbstbestätigung nicht interessiert, mit der sich hier
Sofahelden feiern.

Natürlich muss da von Ideologie oder von Verblendung gesprochen werden -
anders ist die erstaunliche Misshandlung der Informationsquelle nicht
darstellbar. Wenn ich etwa Nachschau halten will, Grenzgebirge Jemen
nach Saudi-Arabien, und mir wird ein Blick auf eine nicht weiter
ausgebaute Geographie für Radfahrer eröffnet, dann stellt sich dies für
mich nicht als technisches Manko dar, sondern:

als die perverse Erwartung eines sozialen Defekts in globaler Wirklichkeit

****

Bitte denn um einen kleinen reality check in diesem Sinne.
Und, nun ja, es tun sich mit solchen Spannungen in der einfachen
Alltagswirklichkeit manche noch etwas schwerer.






Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang